Im Mittelpunkt des Medizinverständnisses des NS-Regimes stand nicht die Heilung und das Wohlbefinden des Einzelnen, sondern das rassistisch definierte Wohl des Volks. Dieser Anschauung fielen Hunderttausende Menschen zum Opfer: Menschen mit Behinderungen oder psychischen Krankheiten galten als kostenintensive „Ballastexistenzen“ und Gefahr für die deutsche „Erbgesundheit“, die auch ihre Diener und ärztlichen Vollstrecker in der Anstalt Gangelt hatte.
Die Homepage der Gemeinde Gangelt ist innerhalb der Lokal- bzw. Regionalgeschichte um einen Beitrag reicher geworden. In seiner Arbeit „Zwangssterilisation und Gnadentod. Die Verfolgung der ‚lebensunwerten‘ Patientinnen der Anstalt Gangelt 1933 – 1945“ blickt Harry Seipolt auf ein dunkles Kapitel der Ortshistorie. Besonderer Dank gilt hierbei dem Gangelter Bürgermeister Guido Willems sowie der Gangelter Ratsfrau und Autorin Ingrid Heim, die den Autor vorbehaltlos unterstützt haben.
Zum Beitrag: Bereits im Juli 1933 schuf das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ die Grundlage für die massenweise Zwangssterilisation, der auch etliche Gangelter Patientinnen im Krankenhaus Heinsberg brutal zum Opfer fielen. Während des Krieges wurden durch den Vernichtungswillen der Nationalsozialisten rund 260 Mädchen und Frauen in gerichtsbekannten „Euthanasie„-Anstalten ermordet.
Die schonungslosen Recherchen zur Anstalt enthalten auch neue bis dato unbekannte, hochbrisante Forschungsergebnisse, die Harry Seipolt kürzlich noch aus den Landesarchiven Duisburg und Hannover gewonnen hat. Ebenso sind erstmalig umfangreiche Gerichtsprotokolle der Staatsanwaltschaften Hamburg und Düsseldorf sowie seltene Dokumentenauszüge aus weiteren Archiven z. T. aus dem Ausland wie etwa Österreich, Polen und Tschechien im neuen Aufsatz mitberücksichtigt worden.
Näheres unter „Geschichte“ auf der Homepage der Gemeindeverwaltung Gangelt:
Veröffentlichungen von Harry Seipolt: Mord an Behinderten. Zwangssterilisation und NS-„Euthanasie“ in der Region Aachen. In: Volkshochschule Aachen (Hrsg.): Wege gegen das Vergessen. Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus. Aachen 2012 ● Gertrud und Bernhard: „Reichsausschußkinder“ im Kreis Heinsberg 1939 – 1945. In: Dokumente und Schicksale. Verfolgung in der NS-Zeit im Kreis Heinsberg. Zug der Erinnerung (Herausgegeben vom Kreis Heinsberg). Heinsberg 2011● Zwangssterilisation – Der Fall Maria und Wilhelm Sistermann. In: Eilendorfer Heimatblätter. Hrsg.: Heimatverein Eilendorf e. V., Band 14 (1996) ● „… kann der Gnadentod gewährt werden.“ – Zwangssterilisation und NS-„Euthanasie“ in der Region Aachen. Alano-Verlag. Aachen 1995 ● Artikel Gangelt. In: Ulrike Puvogel/Martin Stankowski: Gedenkstätten für die Opfer des Nationalsozialismus. Eine Dokumentation (Schriftenreihe der Bundeszentrale für Politische Bildung (Band I: 2. Aufl.). Verlag: Bundeszentrale für Politische Bildung. Bonn 1995 ● Ich war „minderwertig“. Aus dem Lebensbericht einer NS-Zwangssterilisierten. In: Geschichte im Westen. Halbjahreszeitschrift für Landes- und Zeitgeschichte (Jahrgang 8, Heft 2). Rheinland-Verlag. Köln 1993 ● „Reichsausschußkinder“im Kreis Heinsberg 1939 – 1945. In: Heimatkalender des Kreises Heinsberg (1993) ● „… stammt aus asozialer und erbkranker Sippe“. – Zwangssterilisation und NS- „Euthanasie“ im Kreis Heinsberg 1933 – 1945. In: Heimatkalender des Kreises Heinsberg (1992) ● Veronika A. zum Beispiel. Eine Gangelter Psychiatrie-Patientin im Strudel der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“. In: Ralf Seidel, Wolfgang F. Werner (Hrsg.): Psychiatrie im Abgrund. Spurensuche und Standortbestimmung nach den NS-Psychiatrie-Verbrechen. Rheinland-Verlag. Köln 1991.
Titelfoto: „Heil- und Pflegeanstalt Gangelt“ (1925)